Festival:

M ´era Luna 2023 - Samstag, 12.08.2023

Festival vom 12.08.2023

August ist M´era Luna-Zeit: alle Jahre wieder strömt die Schwarze Szene am 2. Augustwochenende zu ihrem großen Familientreffen nach Hildesheim. Alle Jahre?  Nicht ganz: zwei Jahre Corona-Zwangspause hatten 2020 und 2021 dem Spaß Einhalt geboten und bei manch einem für Entzugserscheinungen gesorgt, bevor der schwarzbunte Zirkus im letzten Jahr wieder vorsichtig seine Pforten öffnen durfte. Dieses Jahr strömte die schwarze  Menge dafür umso zahlreicher herbei und Kauflust brachte sie auch mit: bereits am Freitagabend, also noch vor dem offiziellen Festivalbeginn, war ein Teil der Festival-T-Shirts schon ausverkauft – und das, obwohl man als Interessent durchaus eine gewisse Leidensbereitschaft mitbringen musste: strategisch ungünstig angebrachte, zu klein bedruckte Banner mit Abbildungen des zur Auswahl stehendenden Merchandising sorgten dafür, dass einem nichts anderes übrig blieb, als sich auf Verdacht hin anzustellen, ohne die zum Verkauf stehende Ware überhaupt richtig erkennen zu können. Dieser Umstand sorgte zwar für einen gewissen Unmut bei den (z. T. lange!) Wartenden, tat der Kaufbereitschaft und der Gesamtstimmung aber letztendlich keinen Abbruch. Wer sein Geld lieber noch etwas länger zusammenbehalten wollte, konnte stattdessen Lesungen von Markus Heitz, Liza Grimm und Christian Von Aster lauschen, dem Crypt Talk von Stephan Thanscheidt und Chris Harms (LORD OF THE LOST) beiwohnen oder das Tanzbein schwingen – wahlweise am späten Nachmittag auf dem Mittelaltermarkt beim dortigen Bühnenprogramm und dem „Tanz auf dem Markt“ oder, in moderner Form, die ganze Nacht hindurch in der Disco.

Der offizielle Startschuss fiel am Samstag um 11 Uhr, als mit ANTIAGE das Bühnenprogramm auf der Main Stage losging. Und auch wenn so manch einer die Nacht zum Tage gemacht haben dürfte: das Publikum war schon wach und in Stimmung. An der benachbarten Club Stage eröffneten INTENT: OUTTAKE den Tag und auch an den benachbarten Ständen waren schon zu früher Stunde reichlich Interessenten unterwegs. Derweil ging es auf der Main Stage mit mittelalterlich geprägten Klängen weiter, TANZWUT übernahmen die Bühne und hatten gleich eine Einladung zu ihrer Silberhochzeitstour im Herbst im Gepäck. Überhaupt feiern die Spielleute oft und gerne, haben sie doch gar ihren eigenen Feiertag ausgerufen: „Freitag der 13“, den das Publikum selbstverständlich gerne mit ihnen feierte. Überhaupt war allen Beteiligten sicht- und hörbar anzumerken, wie froh sie nach der langen Durststrecke über die zurückgewonnene Festival- und Konzertfreiheit und die damit verbundenen Unbeschwertheit waren – wie Teufel es vor „Bis Zum Meer“, das während der Hochphase der Pandemie entstand, formulierte: „Es ist so großartig, wieder hier zu sein! Denn danach haben wir uns doch alle gesehnt in der Zeit, in der die Pest im Land war!“

Danach ging es mit Neuer Deutscher Härte vom Mittelalter in die Neuzeit: MEGAHERZ übernahmen die Bühne und heizten dem Publikum mit Songs wie „Miststück“ und „Roter Mond“ ordentlich ein. Das war auch nötig, denn mitten im Set ergoss sich ein saftiger Regenschauer über das M´era Luna, der so heftig ausfiel, dass kurzzeitig schon Befürchtungen in der Luft hingen, das Konzert müsse abgebrochen werden. Soweit kam es dann aber doch nicht, sowohl die Technik als auch MEGAHERZ und das Publikum hielten mehrheitlich tapfer durch, wofür sich die Band auch ausdrücklich bedankte. Darüber hinaus brach letztere als Auftakt zu „Alles Arschlöcher“ auch eine Lanze für mehr gegenseitige Rücksichtnahme: „Ein, zwei Arschlöcher in der Familie kann man ja noch verkraften. Nicht schön, aber es geht. Aber ich habe immer mehr das Gefühl wir leben in einer Arschlochgesellschaft. Der, der am lautesten brüllt, bekommt Recht. Der, der den blödesten Spruch bringt, bekommt den lautesten Applaus.“ -- [Er unterbrach sich, musste lachen.] – „Ja, genau, dafür jetzt keinen Applaus bitte!“

Freunde harter Klänge kamen an der Club Stage bei RABIA SORDA auf ihre Kosten. L´ÂME IMMORTELLE lieferten auf der Main Stage ein druckvolles Konzert ab, bei dem sie gleichzeitig den Festivalrekord in Punkto Schweigsamkeit aufstellten: mehr als ein paar Mal „Danke“ kam ihnen neben den Songtexten nicht über die Lippen, selbst der notorisch wortkarge Ville Valo (VV) erwies sich später als (zumindest geringfügig) redseliger. Wer elektronische Klänge bevorzugte, den zog es danach vor die Club Stage zu NEUROTICFISH, während auf der Main Stage umgebaut wurde für ein waschechtes Urgestein der Szene: Joachim Witt, der dann auch pünktlich mit „Das Geht Tief“ loslegte. Und Besuch hatte er auch mitgebracht: Peter Heppner, selbst eigentlich erst am Sonntag an der Reihe, gab sich die Ehre und ließ es sich nicht nehmen, gemeinsam mit seinem Kollegen „Die Flut“ zum Besten zu geben. Nichtsdestotrotz gab es für das Bühnenprogramm ernsthafte Konkurrenz: parallel lief der zweite Durchgang der Gothic Fashion Show, dazwischen drängte man sich bei Speis und Trank auf dem Mittelaltermarkt, wo bei den schwitzig-drückenden Temperaturen auch das Badehaus großen Anklang fand. Spätestens beim „Goldenen Reiter“ gewann JOACHIM WITT dann aber doch die Oberhand und das Publikum gröhlte den alten Gassenhauer aus derartigen Leibeskräften mit, dass man sich partytechnisch schon fast ein wenig an den Ballermann versetzt fühlte.

Im Anschluss wurde es mit PROJECT PITCHFORK auch auf der Main Stage ein wenig härter und elektronischer. Entspanntes Picknickflair herrschte trotzdem: etliche Besucher hatten Picknickdecken mitgebracht, um sich das ganze Spektakel auf etwas gemütlichere Art und Weise anzusehen und ließen sich den Spaß auch nicht verderben, als es erneut zu regnen begann. Wen nun genau die Schuld an dieser meteorologischen Gemeinheit traf, ließ sich trotz Nachfragen der Band „(„Okay, wer von euch hat nicht aufgegessen?!“) nicht ermitteln. Allmählich jedoch zogen die bedrohlich dunkeln Wolken ab und pünktlich zum ersten Höhepunkt des Abends um 21 Uhr mit IN EXTREMO war der Himmel weitestgehend klar. „Guckt mal, wir haben euch schönes Wetter mitgebrach!“, kommentierte denn auch IN EXTREMO-Sänger Micha Rhein. Frösteln brauchte aber bei IN EXTREMO ohnehin niemand, denn die Spielleute hatten reichlich Pyrotechnik im Gepäck und so wurden auch nassgeregnete Klamotten schnell wieder trocken—zumindest in den vorderen Reihen. Los ging es mit „Troja“, dann fackelte die Band ein regelrechtes Hit-Feuerwerk ab, in dem ein Klassiker den nächsten jagte und gleichermaßen die Bühne rockte: „Vollmond“, „Rasend Herz“, „Liam“, „Küss Mich“, „Feuertaufe“ und „Frei Zu Sein“ – alle waren sie dabei. Kurzzeitig schien es, als sollte auch die neue Single „Weckt die Toten“ mit am Start sein, aber da hatte sich Das Letzte Einhorn dann doch in der Setlist vertan („Oh, hab´ mich in der Setlist geirrt. Wir spielen was anderes!“).

Auch wenn sich die Menge während des Konzerts von IN EXTREMO schon ordentlich verausgabt hatte, leerte sich der Raum vor der Bühne während der anschließenden Umbaupause nicht, schließlich stand mit VV (aka VILLE VALO) der Headliner des Abends bevor. Um 22:45 Uhr war es schließlich soweit und der ehemalige Sänger, Songwriter und Texter von HIM betrat die Bühne. Schweigsam und zurückhaltend wie immer und fragiler wirkend denn je, schuf er, unterstützt durch atmosphärische Bühnenbeleuchtung, eine einzigartige Stimmung, die einen schnell in ihren Bann schlug. Das Set war eine gelungene Mischung aus neuen Solo-Songs und HIM-Klassikern, die sich auch solo genauso anhören wie früher und nichts von ihrem Reiz eingebüßt haben. Und nein, das Publikum vor der Bühne war nicht ausschließlich weiblich, beileibe nicht. Den Auftakt bildete „Echolocate Your Love“, bevor mit „Poison Girl“ der erste Ausflug in die guten alten Zeiten folgte. Das einschmeichelnde „Run Away From The Sun“, der Uptempo-HIM-Kracher „Buried Alive By Love“, „Kiss Of Dawn“, „Neon Noir“, „Right Here In My Arms“ – der düsterpoetische Reigen war für Freunde alten wie neuen Materials gleichermaßen ansprechend. Nicht fehlen durften natürlich auch „Join Me“ und „Funeral Of Hearts“, die von der Menge frenetisch gefeiert wurden. VILLE VALO war nie ein großer Showman oder gar eine Rampensau, daran hat auch das Wandeln auf Solopfaden nichts geändert. Aber das muss er auch nicht sein, im Gegenteil, es würde zu seiner Musik gar nicht passen. Stimme und Ausstrahlung reichen dem Mann, um einen in seinen Bann zu ziehen, dazu schönes buntes Licht – mehr braucht es nicht. Lange war er abwesend, nicht nur vom M ´era Luna, sondern generell von den Bühnen dieser Welt. Angesichts der nach wie vor hypnotischen Wirkung des Finnen darf man hoffen, dass es bis zu seinem nächsten Gastspiel nicht wieder so lange dauern wird. Und so endete der erste M´era Luna-Tag gelungen mit einem zufriedenen Publikum unter nun sternenklarem Himmel.



Tanzwut Tanzwut Megaherz Project Pitchfork L´Âme Immortelle In Extremo In Extremo VV VV